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speed
| Veröffentlicht am Donnerstag, 02. Dezember 1999 - 01:45 Uhr: |
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Ich bin Mutter von einem fünfjährigen Sohn. Mit der traditionellen Weihnachtsfeier bin ich nicht einverstanden. Meine Frage: -Was ist wahrheitlich Weihnachten? -Wenn ich keine Weihnachtsfeier mache, enthalte ich dann meinem Sohn etwas, dass für seine Entwicklung fördernd wäre? Freue mich auf baldige Antwort. Gruss Lesley |
   
Stephan
| Veröffentlicht am Freitag, 03. Dezember 1999 - 16:25 Uhr: |
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Hallo Lesley, die Beantwortung deiner zwei Fragen wird wesentlich umfangreicher, als ich es zuerst selbst dachte. So habe ich deine zweite Frage an Hans Georg Lanzendorfer übergeben, der seit vielen Jahren im pädagogischen Bereich tätig ist. Er hat dazu einen Artikel mit dem treffenden Titel "Die Weihnachtsfeier aus pädagogischer Sicht" verfasst, den er heute im Laufe des Abends hier veröffentlichen wird. Die genaue und detailierte Beantwortung der ersten Frage, nämlich was Weihnachten wahrlich ist, werde ich selbst in ein bis zwei Wochen nachreichen und zwar ebenfalls in Form einer recht umfassenden Abhandlung des Themas. Einen kurzen Einblick sollte Dir allerdings schon der Artikel vom Hans geben. In diesem Sinne, noch ein wenig Geduld, Salome, Stephan |
   
Hans G. Lanzendorfer
| Veröffentlicht am Freitag, 03. Dezember 1999 - 18:55 Uhr: |
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Hallo Lesley Wie Du von Stephan bereits erfahren hast - hier also mein Artikel zu diesem Thema. Die Weihnachtsfeier aus Pädagogischer Sicht oder Soll ich - oder soll ich nicht? Die Weihnacht steht vor der Tür. Für viele Eltern, die gegenüber der christlichen Religion eine ablehende und verweigernde Haltung haben, ist diese Zeit nicht einfach. Ganz besonders dann nicht, wenn sich ihre Kinder aus entwicklungspsychologischer Sicht in einem Alter bewegen, in dem das 'Nachahmen', das 'Imitieren' der Spielgefährten oder das Nacheifern von Vorbilder aller Art ‚hoch' aktuell ist. Die Weihnacht ist traditionell die Zeit der Geschenke und der Familienfeiern - denn das war schon immer so - und ...man tut das halt einfach so! Doch genau in dieser unüberlegten Ansicht und althergebrachten Meinung liegt der Irrtum verborgen - denn es war keineswegs schon immer so. Dieser Brauch hat sich im Laufe der vergangenen Jahrhunderte erst zur heutigen Form entwickelt. Selbst der sogenannte ‚Christbaum' oder ‚Lichterbaum', steht noch keine 150 Jahre in den weihnächtlichen Stuben der christgläubigen Menschen. Entwickelt hat sich dieser relativ junge Brauchtum in unseren Regionen erst am Ende der christlichen Entwicklungsgeschichte. Ziel der christkirchlichen Bewegung war es seit jeher, die vielzähligen und alten 'heidnischen' Feste und Feierlichkeiten, mit der christlichen Kultur und ihren Gebräuchen zu kaschieren. Kinder sind kleine Erwachsene. Sie stellen Fragen zu allen möglichen Alltags-Themen. Fragen aus deren Antworten selbst die Erwachsenen noch viel zu lernen hätten. Kinder sind sehr verletzliche Wesen. Doch sie sind keineswegs so unmündig, ungebildet und unfähig, dass sie die Zusammenhänge zwischen den Religionen, von erfundenen Geschichten und menschlichen Phantasien nicht zu unterscheiden vermöchten, wenn ihnen diese Zusammenhänge nahegelegt werden. Sehr viel besser vermögen sie sich auch von ‚alten Zöpfen' zu trennen, als dies die Erwachsenen zu tun vermögen, deren Psyche sich unter Umständen schon seit Jahrzehnten an gewisse Zustände, Bequemlichkeiten, Gewohnheiten, Verrichtungen, Zeremonien oder Handlungsweisen gewöhnt haben. Kurz gesagt; einem Kind kann durchaus erklärt werden, dass es auf unserer Erden-Welt die vielfältigsten Kulturen, Lebensarten und Lebensweisen gibt. Kinder verstehen auch in ihren eigenen Masstäben, dass sie so vielfältig und unzählbar sind, wie in der gesamtuniversellen Natur eine Vielzahl von Lebensformen existieren. Es gibt daher in aller Herren Länder Kulturen und Zivilisationen, die sich gemäss ihrer Umgebung und Lebensgrundlagen bestimmte Feste und Zeremonien erschaffen haben. In München gibt es die Bierfeste, in den kleinen Dörfern die Jahrmärkte. So sind viele kleine oder grosse Feste aus einem Bedürfnis von Gemeinschaften heraus entstanden. Und alle diese Feste vertreten oder kennzeichnen einen gewissen Lebensstil oder eine gewisse Lebenseinstellung oder Haltung der Festtreibenden. In ihrem Buch ‚Mythen vom Anfang der Welt', beschreibt Susanne Hansen eine grosse Anzahl von Entstehungsgeschichten der verschiedensten Kulturen. Es ist 1991 im Pattloch Verlag Augsburg erschienen. So glauben die Indianer an eine schöpferische Kraft, die sie Manitou nennen. Die Bramahnen an den schlafenden und kreierende Brahma, der wiederum eine schöpferische Kraft darstellt. Die Christen gehen davon aus, dass ein lieber Gott den Himmel und die Erde erschaffen haben soll und so glauben die Mohammedaner ihrerseits wieder, dass Mohammed der Künder der wirklichen Wahrheit und der Weltentstehung sei. In der Politik gibt es viele Parteien, die für ihre Anliegen und ihre Interessen werben. Es exi-stieren Vereinigungen, Bünde und Gemeinschaften in Sport, Politik, Freizeit usw. usw., die sich in Interessengruppen aufgeteilt haben und die ihre Ansichten und Meinungen als die besonders ‚Gute' oder die ‚Richtige' für die Menschen proklamieren. Unsere Welt wird mittlerweile von über 5000 Sekten und Religionen bevölkert. Es beherrschen rund 5 Hauptreligionen unsere Erde, die sich grundsätzlich so widersprechen, wie sich auch politische Vereinigungen widersprechen. Einem Kind können anhand rein weltlicher Belange die Unterschiede und Widersprüchlich-keiten der Religionen und der dahinterstehenden Menschen nahegebracht werden. Es kann ihm erklärt werden, dass sich die Menschen immer mit dem Thema der Weltentstehung befasst haben, dass sie sich jedoch bis heute niemals einige darüber geworden sind, wer oder was nun die Natur und das gesamte Universum erschaffen hat, was aus der Vielfalt der verschiedenen Religionen und ihrer Lehren ersichtlich ist. Selbst alte Weisheiten verschiedenster Kulturen sprechen von der Unwissenheit über die grundlegensten schöpferischen Wahrheiten. So zum Beispiel in den Worten eines alten Inuit vom Noatakfluss, der folgendes gesagt haben soll: "Niemand kann mit Sicherheit etwas wissen über den Anfang allen Lebens. Aber wer Augen und Ohren öffnet und sich erinnert, was die Alten erzählen, der hat doch das eine oder andere Wissen, dass die Leere unserer Gedanken ausfüllen kann". Das Kind wundert sich dann vielleicht darüber, warum sich so viele erwachsene Menschen darüber streiten, wie denn die Welt nun wirklich entstanden sei. Eine Frage, die mit der einfachen und ehrlichen Tatsache und Wahrheit beantwortet werden kann, dass die Menschen, selbst wenn sie bereits Erwachsene sind, ebenfalls Fehler begehen müssen, um daraus zu lernen - und dass selbst die Erwachsenen nicht alles wissen können und vor keiner Dummheit gewappnet sind. Auch dann, wenn die ‚Erwachsenen' oftmals das Gegenteil behaupten. Kurz gesagt soll dem Kind die Wahrheit über die Unwissenheit der Menschen offen und ehrlich nicht vorenthalten werden. Auch, dass die Religionen nichts anderes darstellen, als klägliche Versuche, sich das Dasein als Mensch zu erklären. Es muss dem Kind jedoch auch erklärt werden, dass es durch die eigene Gedankenarbeit und durch das eigene Suchen und Forschen in der Natur die Zusammenhänge über sein eigenes ‚Ich' finden kann. Ein Kind in einer bestimmten Religion zu erziehen und ihm das Dogma der Religion ‚auf-zu-doktrinieren' ist in gröbster Form menschenunwürdig und evolutionshemmend. Daher muss dem Kind auch klar gemacht werden, das es die Religionen dieser Erde selber studieren soll und dass es sich für diese oder jene entscheiden kann. Das Kind muss aber auch die Frei-heit erkennen und erfahren können, sich gegen jegliche Kultreligionen wehren zu dürfen, um dadurch den eigenen Lebensweg zu finden. Die Weihnacht hat verschiedene Ursprünge. Sie setzt sich aus mindestens sieben Kultur-Komponenten zusammen. (Artikel von Stephan folgt) Eine geschichtlich interessante Tatsache, die einem Kind ebenfalls erklärt werden kann. So wie man eben auch die Fastnacht oder andere Feste oder Jubiläen feiert, wird auch die Weihnacht gefeiert. Es ist einfach ein Fest der Geschenke, dass vielleicht einmal weiterhin als solches übernommen wird, wenn es eines Tages die christliche Weihnacht nicht mehr geben wird. Es heisst dann vielleicht einfach das ‚Fest der Geschenke', oder ‚Geschenk-Feier' usw. Im Grunde genommen gibt es also keinerlei Gründe, das Weihnachtsfest mit einem Kind nicht zu feiern, so wie es auch keinen Grund gibt das Nikolaus-Fest nicht durchzuführen. Der mit Lichtern geschmückte Baum ist die Modifizierung eines uralten Brauches aus dem skandinawischen Raum. Eine Huldigung an die Natur, als die Menschen die Sonnenwende feierten. Sie hatten Freude daran, dass der lange Winter wieder verschwand und das Licht endlich wieder kam. Warum also heute nicht einfach wieder das ‚Fest der Lichter' feiern, wenn man sich schlicht und einfach darüber freuen kann, dass der kalte Winter bald vorbei sein wird - auch wenn es noch eine Weile dauert. Zudem freut sich ein Kind auch über seine Geschenke die es dabei erhält und dies ist Grund genug für die Eltern sich über die Freude des Kindes zu freuen. Das dieser Anlass heute noch vor dem christlichen Hintergrund der Weihnachtsfeier steht ist im Grunde absolut gleichgültig. Allein der Gedanke sich mit den Ursprüngen oder einer abgeänderten Form dieses Festes zu befassen zeigt, dass sich der Hintergrund eines Tages wieder ändern wird. Schliesslich war das römische Fest der Beschenkung viel älter als die christliche Weihnacht und muss daher in keinerlei Zusammenhang mit der christlichen Kultur gesehen werden. Wir feiern ganz einfach zusammen mit dem Kind und mit uns selbst nichts anderes als das ‚Licht'. Eines Tages wird sich ein Kind, das in ehrlicher, offener und neutraler Form den Religionen gegenüber erzogen wurde, selber auf die Suche nach der Wahrheit begeben. Was die Eltern dem Kind jedoch von Grund auf mit auf die Reise durch das Leben geben sollten, ist die Möglichkeit und die Freiheit, selber über alles nachdenken zu können. Es sollte ihm das Bewusstsein und die Gewissheit um die Macht der Gedanken gelehrt werden. Die Tatsache, dass es durch die eigenen Gedanken das Leben selber bestimmt. Es sind kleine Beispiele aus dem Alltag an denen das Kind diese Tatsache lernt. Erst daraus entwickelt sich die Lebensstärke, die den heranwachsenen und zukünftigen Erwachsenen die Kraft verleiht, selber zu suchen und zu forschen. Erst dadurch erlangt das Kind die Kraft, nicht an irgendwelchen kultreligionsbedingten Schuldgefühlen zu zerbrechen, die ihm die persönliche Entwicklung durch das Suchen und Forschen verbieten würden. Und daher soll das ‚Mitmachen' an der Weihnacht, um damit dem Kind eine Freude zu machen, einfach als Möglichkeit zur Freude des Kindes betrachtet werden. Es soll sich freuen können, solange es das kindliche Freudevermögen noch in sich trägt. Früh genug werden die Probleme der Erwachsenen auf das Kind herniederprallen und ihm gewisse Lebensfreuden rauben. Es wrd erwachsen werden und es wird eines Tages selber bestimmen was es von den Kult-Religionen hält und wie es dann damit umgehen wird. Doch es wird sich auch daran erinnern, das es als Kind, zusammen mit seinen Eltern, grosse Freude an den Geschenken und an den Lichtern haben konnte - auch wenn es damals die Streitereien und die Kriege der Erwachsenen um das ‚Woher und Wohin' der Götter und Religionen' nicht ‚verstanden' hat. |
   
lesley
| Veröffentlicht am Samstag, 04. Dezember 1999 - 00:47 Uhr: |
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Mit Freude nehme ich diese Antwort dankend entgegen. Gruss Lesley |
   
Stephan
| Veröffentlicht am Donnerstag, 23. Dezember 1999 - 15:20 Uhr: |
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Ich hoffe du kannst dich noch eine Zeit gedulden. Der Artikel ist immer noch in Arbeit. Bis dann, Stephan |
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